Geduld

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Die Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Präsentation sind besonders in den letzten paar Jahren durch das Internet und die damit entwickelten Werkzeuge entschieden mächtiger und vielfältiger geworden. Zwischen dem Knipsen eines Fotos und der weltweiten Veröffentlichung bei Facebook liegen oft nur noch wenige Sekunden.

Das dürfte diesbezüglich der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung sein, die durch das gern genannte “Web 2.0” stark geprägt wurde. Facebook, MySpace, Twitter sind die aktuellen Zugpferde einer Generation von Künstlern, der erstmals diese scheinbar unendlichen und gewaltigen Möglichkeiten hat, gehört, gelesen und gesehen zu werden. In der Tat scheint die Zahl und Vielfalt der so zu findenden Künstler überwältigend zu sein. Beinahe im Minutentakt werden neue Bands oder Projekte gegründet binnen kürzester Zeit wird ein Demo aufgenommen und in das Internet gestellt. Und dabei bleibt es dann meist auch. Wie ein one-hit-wonder, nur eben ohne Hit. Die Band/das Projekt verliert an Schwung, zerschlägt sich, löst sich auf.

Geduld, Überlegung und Mut, das sind die besten Waffen im Kampfe des Lebens.

In meiner lokalen Szene vor ca 20 Jahre haben wir das ähnlich beobachten können: Eine Band wird gegründet, es wird geprobt, geschrieben und verfeinert. Dann folgt der Gang in’s Studio, ein Album wird aufgenommen. Ein paar Stück werden verkauft, die Band tritt noch zwei, drei mal auf. Und löst sich dann auf. Das gesteckte Ziel war erreicht und der Antrieb lief in’s Leere. Ein nicht unüblicher Fehler, es mangelte an einem neuen Langzeit-Ziel. Doch von Gründung der Band bis zur Auflösung vergingen auf diese Weise meist wenigstens zwei Jahre.

Zur oben genannten erleichterten Verbreitung des künstlerischen Werks hat sich in fast allen Medien ergeben, dass auch die Schwelle zur Produktion massiv gesunken ist. Mit nur geringer Investition können die für die Aufnahme eines wenigstens akzeptablen Albums Notwendigkeiten erworben werden. Das gleiche gilt für die Produktion von Videos oder aufwändigen Illustrationen.

Infolgedessenwird viel mehr und viel schneller produziert und veröffentlicht als je zuvor. Das Resultat sind dabei jedoch leider sehr oft völlig unausgereifte Werke. Hat eine Band sich zuvor noch Jahre zum Songwriting (für ein ganzes Album) Zeit gelassen, passiert so etwas heute in nur wenigen Tagen, bestenfalls Wochen. Denn der Reiz schnell zu veröffentlichen, ist groß.

Das muss nichts schlechtes sein. Häufige Iterationen und frühes Feedback können hilfreich sein. Doch genau dies haben viele Künstler, wohl besonders diejenigen, die mit diesen neuen Möglichkeiten des Internets aufgewachsen sind, selten im Sinn. Und so geraten ihre unreifen Werke an die breite Öffentlichkeit. Zu der anschließend folgenden Antriebslosigkeit (das Ziel, die Aufnahme und Selbstdarstellung, ist erreicht) gesellt sich nun jedoch auch noch das ungefilterte Feedback der gesamten Umwelt. In der Natur der Sache liegt, dass dieses bei unfertigen Werken entsprechend negativ ausfällt. Ein weiterer Stopper für den Künstler.

Was das soziale Netz, “Web 2.0”, so reizvoll macht, scheint somit zugleich eine trügerische Falle zu sein. Ist es nicht in der Regel besser, sich selbst mehr Zeit zu geben, sich zu mehr Reflexion zu zwingen, abzuwarten, zu überdenken? Sicherlich kann man sich seine Kunst auch kaputt denken. Doch einfach mal innezuhalten und durchzuatmen hat in diesem Zusammenhang wohl noch niemandem geschadet.

“Daure aus, mein Bester, und warte die Erfolge Deiner wohlüberdachten Bestrebungen ruhig ab. Geduld, Überlegung und Mut, das sind die besten Waffen im Kampfe des Lebens.” – Nikolai Abramowitsch Putjatin


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